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Quo Vadis Digitalisierung in der Pflege?

 

  1. Bestandsaufnahme

Die Digitalisierung und Technisierung erfasst alle Lebens- und Arbeitsbereiche, so auch den Gesundheits- und zunehmend immer mehr den Pflegebereich. Gerade vor dem Hintergrund einer älter werdenden Gesellschaft und der damit einhergehenden steigenden Zahl Pflegebedürftiger auf der einen und dem Mangel an Fachkräften auf der anderen Seite gewinnen digitale Technologien und Systeme immer mehr an Bedeutung. 

Bereits heute stößt der Pflegesektor an die Grenzen seiner Leistungsfähigkeit. Gerade in Bezug auf wichtige, kommunikationsbasierende Aspekte, wie Angehörigengespräche, Beratungsleistungen oder begleitende Betreuungsangebote , erhalten viele Pflegebedürftige nicht oder nur eingeschränkt die Dienstleistungen und Unterstützungen, die sie dringend benötigen. Transparenz über Angebote, Verfügbarkeit und Qualität von pflegerischen Dienstleistungen ist kaum vorhanden. Dies gilt sowohl für professionelle Anbieter im ambulanten und stationären Bereich als auch für Angebote der Selbsthilfe und für Serviceangebote der Leistungsträger. 

Die Möglichkeit der Digitalisierung bietet hierfür neue Antworten. Große Trendthemen wie Smart Home, Sprachassistenten, digital gestütztes und vernetztes Arbeiten werden zukünftig auch den Pflegesektor prägen. 

Digitale Lösungen haben Branchen bereits verändert. Die Entwicklung im deutschen Pflegemarkt muss diesen Prozess noch durchlaufen. Es gilt, dass Pflege, Forschung, Industrie und Krankenkassen ihr Zusammenwirken intensivieren, um auszuloten, welche digitalen Möglichkeiten Pflegebedürftige, Pflegende, aber auch Leistungserbringer wirklich entlasten können.

  1. Beschreibung des Transformationsprozesses

Durch vernetzte Betreuungssysteme sowie weiteren digitalen Unterstützungstools, werden Pflegeressourcen von administrativen Aufgaben entlastet, die dann wieder den Pflegebedürftigen zugute kommen. Zugleich verbessern digitale Systeme den Austausch und die Koordination zwischen professionellen Dienstleistern, Ärzten, Therapeuten und Pflegekräften – und natürlich den Pflegebedürftigen und ihren Angehörigen. Darüber hinaus werden mit dem Einsatz moderner Technologien mehr Informationen gewonnen umso die Versorgung der Pflegebedürftigen besser zu steuern.

Damit die Möglichkeiten der Digitalisierung überhaupt Anwendung finden können, müssen diese von der Bevölkerung akzeptiert werden. In Deutschland stehen Erkenntnisse von Pflegenden zur Akzeptanz gegenüber modernen Technologien erst am Anfang. Bisherige Befragungen zeigen aber eine generell positive Einstellung dazu. Die Bereitschaft ist also vorhanden, die Chancen der digitalen Transformation in der Pflegewelt zu nutzen. Gerade mobile Apps und Expertensysteme erlauben es, die Koordination der Pflege leichter in den Alltag zu integrieren. Das erhöht die Versorgungsqualität und gibt den Menschen das Gefühl, dass sie gut und sicher aufgehoben sind. Insbesondere, wenn Angehörige weit weg wohnen und dadurch der Informationsaustausch spürbar verbessert werden kann.

  1. Chancen und Risiken

Vorzugsweise alleinlebende, pflegebedürftige Menschen sind dem Risiko ausgesetzt, bei Krankheit oder Unfall nicht rechtzeitig Hilfe zu erhalten. Digitale Lösungen können hier Abhilfe schaffen, indem sie automatisiert und situationsgerecht Alarm auslösen und Hilfe herbeirufen, beispielsweise den Notarzt oder ein Familienmitglied. So gibt es bereits eine Smartwatch-App, die Notrufe direkt aufs Handgelenk der Pflegekräfte bringt und sofort informiert, welche Hilfe genau gebraucht wird. 

In den USA bietet beispielsweise ein Start-up Unternehmen für Angehörige, gerade wenn sie nicht vor Ort leben, eine strukturierte Begleitung der Pflegesituation für zu Hause (vgl. https//penroseeseniorcareauditors.com / (28. August 2016). Nach unangemeldeten Vor-Ort-Besuchen gibt das Unternehmen den Familien regelmäßig versiertes Feedback aus der Pflegesituation und versendet die Berichte schnell und nachvollziehbar direkt auf das Smartphone. Mit einer mobilen Gutachter-App untersucht anschließend der Pflegeexperte die Pflegequalität anhand von sieben Bewertungsklassen mit mehr als 150 Merkmalen. 

Auch in Deutschland gibt es ähnliche Entwicklungen. Immer mehr Anbieter teilen den Wunsch nach cleveren Lösungen, um ihre Arbeitsqualität nach außen hin zu zeigen und strukturiertes Feedback an Angehörige zu geben. So möchte beispielsweise das deutsche Start-up Lindera diesen Weg auch in Deutschland gehen. (vgl. www.lindera.deVoraussetzung ist die Kooperation mit Leistungserbringern wie beispielsweise den Pflegediensten oder die Anerkennung als niedrigschwellige Betreuungsleistung im Sinne des Pflegestärkungsgesetzes (PSG) II. Allerdings müssen Erstattungsanträge für jedes Bundesland einzeln gestellt werden. Einige Bundesländer sind sogar dazu übergegangen, Anträge bei jeder Kommune einzeln stellen zu lassen. Diese Hürden erschweren bundesweite digitale Services (§ 45 b (1) SGB XI Länderrecht).

  1. Trends und Entwicklung

Mit Blick auf die digitale Transformation und die allgemeine Technisierung der Pflege lassen sich drei zentrale Gestaltungsfelder erkennen, die Auswirkungen auf Arbeitsorganisation, Beschäftigte und Beschäftigung, Tätigkeitsinhalte und Qualifikationsanforderungen mit sich bringen können. Der Fokus liegt dabei auf Technologien, die bereits eingesetzt werden, vor dem Einsatz stehen oder im Rahmen von Forschungsvorhaben erprobt wurden bzw. werden:(vgl. Studie Digitalisierung und Technisierung der Pflege in Deutschland, DAA-Stiftung, HH 2017)

Informations- und Kommunikationstechnologien

Implementierung moderner und vernetzter Informations- und Kommunikationstechnologien hinsichtlich der Dokumentation und Information, v.a. Informations- und Verwaltungssysteme (z.B. Krankenhausinformationssysteme, elektronische Patientenakten, Telekonsultationen) und der Einsatz von mobilen Endgeräten (z.B. Smartphone, Tablet-PC aber auch Wearables) (Heinz(Hilbert 2016, S. 325).

Intelligente und vernetzte Robotik und Technik

Einsatz von intelligenter und vernetzter Robotik in der Pflege und medizinischen Rehabilitation. In diesem Gestaltungsfeld differenziert man vier unterschiedliche Einsatzmöglichkeiten: (1) Service- und Transportrobotik, (2) pflegende Robotik, (3) Emotionsrobotik; (4) Rehabilitationsrobotik; (in Anlehnung an Hielscher 2014, Graf et. Al. 2013, Klein 2011).

Vernetzte Hilfs- und Monitoringsysteme

Vernetzte Hilfs- und Monitoringsysteme in der stationären als auch in der ambulanten Altenpflege, bspw. zur Überwachung der Vitalparameter . Auch zur Ausrüstung von privaten Wohnungen und Haushalten, sodass für ältere und pflegebedürftige Menschen ein sicheres und barrierefreies Leben in ihren eigenen vier Wänden gewährleistet werden kann.

Die Zukunft wird also von der Weiterentwicklung der Informations- und Kommunikationstechnologien, insbesondere dem Einsatz mobiler Endgeräte geprägt sein. 

Zugleich wird die Implementierung von Robotik an Bedeutung gewinnen. Hinsichtlich der Robotik existieren in Deutschland noch eine Vielzahl von Hürden. Einerseits muss die gesellschaftliche Akzeptanz bzw. die Annahme seitens der Pflegebedürftigen vorhanden sein, bevor Robotertechnologien vollumfänglichen Einzug in den Einrichtungen der Pflege halten. Andererseits sind ethische und juristische (Haftungs-)Fragen zu klären. Für die Einrichtungen sind aber auch Kosteneffizienz sowie die Zuverlässigkeit der Maschinen bedeutsam. 

Schlussendlich sind bei der weiterführenden Digitalisierung und Technisierung der Pflege auch bislang offene gesamtgesellschaftliche Fragen politisch zu klären, die sich damit befassen in welcher Weise sich die Gesellschaft eine Gesundheitsversorgung und die Pflege im Alter vorstellen möchte. Wollen wir in Zukunft durch Maschinen und Roboter gepflegt werden? Inwiefern verbessert der Einsatz von digitaler Technologie und Technik die Versorgungsqualität in der stationären wie auch ambulanten Pflege? 

Die Digitalisierung ist sicher nicht die allumfassende Antwort auf die zukünftigen Herausforderungen, jedoch wird in Zukunft ohne aufbauende Digitalisierung kaum die Gewährleistung der Versorgung möglich sein.

Franz-Helmut Gerhards
Chief Digital Officer (CDO)
DAK Gesundheit

Detlef Herzog
DAK Gesundheit

Aktuelle Rezension

Buchcover

Nicole Strüber: Unser soziales Gehirn. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2024. 352 Seiten. ISBN 978-3-608-96621-3.
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