social-software - Softwarelösungen für die Sozialwirtschaft

Informationstechnologie: Die Sozialwirtschaft tickt anders

IT-Report für die Sozialwirtschaft geht in die vierte Runde

von Prof. Helmut Kreidenweis und Dr. Britta Wagner

„Prognosen sind schwierig, vor allem, wenn sie die Zukunft betreffen.“ Karl Valentin, der mutmaßliche Urheber dieses Bonmot, würde heftig nicken angesichts der Marktvorhersagen für die IT-Branche. Vor zwei Jahren sah man Wolken am strahlend blauen IT-Himmel aufziehen. Das IDC prognostizierte Ende 2008 in seiner Studie „Der IT-Markt in Deutschland nach Branchen, 2007-2012" eine Flaute für den deutschen IT-Markt[1]. Bereits ein Jahr später klang schon alles nicht mehr so düster. Nach einer im Herbst 2009 veröffentlichten Folgestudie sagte das IDC wieder überdurchschnittliches Wachstum der Branche und IT-Investitionen in Höhe von 62 Milliarden Euro vorher.

Geht man mit den Analysten von einer mittleren Steigerung von 1,7 Prozent  pro Jahr aus, könne man 2013 mit mehr als 69 Milliarden Euro Investitionssumme rechnen. Zehntausende neuer Arbeitsplätze würden in den kommenden Jahren entstehen, schon jetzt seien 20.000 Stellen für IT-Experten bei Anwendern und Anbietern aufgrund von Fachkräftemangel nicht zu besetzen. Und gleich wird vor Übermut gewarnt: Woanders werde berichtet, dass CIOs verstärkt Kosten senken, was sich unter anderem darin zeige, dass die Hälfte der in einer Studie der Experton Group befragten IT-Leiter ihr Budget für 2010 schrumpfen sah.

Ausnahmen bildeten nach der IDC-Studie bereits im Flautenjahr das Gesundheitswesen und die öffentliche Verwaltung, wo mit steigender Nachfrage, Abbau von Investitionsstau und die Einführung von eGovernment-Angeboten zu rechnen war. Dies alles sollte sich beispielsweise im Fall der Verwaltung in einer branchenspezifischen Wachstumsrate von beeindruckenden 7 Prozent niederschlagen.

Sozialwirtschaft ist anders

Dass in der Sozialwirtschaft andere Gesetze gelten, ist längst klar. Soziale Organisationen sind zwar Wirtschaftsbetriebe, aber sie arbeiten nicht gewinnorientiert. Im Gegenteil: Wesensmäßig liegt ihr Unternehmensziel in einem Bereich, der eben nicht wirtschaftlich zu betreiben ist, sondern auf die Finanzierung durch die öffentliche Hand, also Steuern und Sozialversicherungen angewiesen ist. Eine weitere Besonderheit ist die Tatsache, dass diejenigen, die eine Leistung erhalten, selten auch die sind, die dafür (größtenteils) bezahlen. Die Rede ist von Altenheimen, Werkstätten für Menschen mit Behinderung, Beratungsstellen, Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen und so weiter. Nichtsdestotrotz handelt es sich hierbei um Wirtschaftsbetriebe, die mit jährlich etwa 80 Milliarden Umsatz[2] ein oft unterschätztes Gewicht auf die Waage der Volkswirtschaft bringen. Dabei ist die Gesundheitswirtschaft – Akut- und Rehakliniken etc. – noch nicht eingerechnet. Fünf Prozent der Beschäftigten im Dienstleistungsbereich arbeiten in sozialen Organisationen der freien Wohlfahrtsverbände.[3]

Es ist wenig überraschend, dass sich das „Exotische“ dieses Wirtschaftszweiges auch in seiner branchenspezifischen Softwarelandschaft niederschlägt. Oft kommen wirtschaftliche Trends mit Verspätung in den Sozialunternehmen an –  am Ende der fiskalischen Nahrungskette. Umso wichtiger ist es für Leitungskräfte sozialer Organisationen, die allgemeine Entwicklung im IT-Bereich ebenso einschätzen zu können wie die branchenspezifische Situation. Denn die Informationstechnologie (IT) gehört mittlerweile auch hier zu den zentralen Querschnittsaufgaben im Unternehmen; sie bildet Daten für die fachliche Arbeit ebenso ab wie Informationen für die Administration und das Management.

Doch wie ist es um Angebot und Nachfrage für Branchensoftware und darauf abgestimmte IT-Dienstleistungen bestellt? Um nur einige Aspekte zu nennen: Welche Anbieter haben welche Marktanteile in den unterschiedlichen Funktionsbereichen? Wie steht es um die Zunkunfts-Chancen der Anbieterfirmen? Nicht weniger interessant ist die Gruppe der Abnehmer, auch aus Benchmarkingperspektive: In welcher Größenordnung bewegen sich die Budgets für IT in den Sozialunternehmen? Wie hoch ist der Stellenschlüssel für IT-Mitarbeiter? Welche Investitionen sind geplant? Wie ist die technische Infrastruktur beschaffen und welche Softwareprodukte sind im Einsatz? Auf welchem Stand sind die Organisationen bei Fragen des Datenschutzes und der IT-Sicherheit?

Der IT-Report für die Sozialwirtschaft

Diesen und weiteren Fragen geht der IT-Report für die Sozialwirtschaft der Arbeitsstelle für Sozialinformatik an der Katholischen Universität Eichstätt auf den Grund. Bereits 2007 fand die erste Befragung von sozialen Einrichtungen und Anbietern von Branchensoftware für die Sozialwirtschaft statt. Die erstmalige Veröffentlichung eines solchen Branchenmonitors ist auf breite Resonanz gestoßen, so dass sich der (zweite) IT-Report 2008/2009 auf eine mehr als doppelt so breitere Basis bei den Sozialunternehmen stützen konnte: 184 Fragebögen von Organisationen konnten ausgewertet werden. Von den kontaktierten Softwareanbietern haben 69 an der Studie teilgenommen. Werfen wir keinen kurzen Blick in die IT-Landschaft der sozialen Organisationen, wie sie sich vor zwei Jahren abgebildet hat. Die nächste Erhebung, die wieder einen Vergleich und Trends von 2007 bis heute ermöglich, läuft im Oktober/November dieses Jahres.

Machen Sie mit! Den aktuellen IT-Report-Fragebogen erhalten spätentschlossene soziale Organisationen und Anbieter von Branchensoftware noch bis zum 1. November 2010. Schreiben Sie an:   sozialinformatik@ku-eichstaett.de

Anwender von IT in der Sozialwirtschaft – ein paar Zahlen

Die befragten Organisationen repräsentierten im IT-Report 2008/2009 nach Umsatz, Zahl der Klientenplätze und Mitarbeiter etwa 10 -15% der Grundgesamtheit der Sozialwirtschaft. Allerdings hatten größere und Komplexeinrichtungen hier ein Übergewicht, was aufgrund der Thematik der Untersuchung nicht verwundert. Die Einrichtungen gaben im Schnitt 1-2% ihres Umsatzes für IT aus, der Mittelwert liegt bei rund 430.000 € pro Jahr. Die Branche unterhielt hochgerechnet zwischen 400.000 und 500.000 IT-Arbeitsplätze. In der Stichprobe waren Dreiviertel Desktopgeräte, nur knapp ein Zehntel Notebooks und fast ein Fünftel Thin Clients, also „abgespeckte“ Desktop-PCs in einem serverbasierten Netz. 98% der Arbeitsplätze waren mit einem Windows-Betriebssystem ausgestattet, lediglich im Serverbereich war Linux als zweitstärkste Plattform mit bis zu 27% (im Bereich Webserver) vertreten.

Für fachspezifische it-gestützte Anwendungen setzten die Organisationen größtenteils gekaufte Branchensoftware-Lösungen ein. Ein Eigenentwicklungsanteil von bis zu 25% (Kinder- und Jugendhilfe) zeigt, dass Arbeitsfelder, in denen die Einrichtungen eher klein sind, erst spät von Softwareentwicklern entdeckt wurden und der Reifegrad der Lösungen noch ausbaufähig ist. Insgesamt ist der Anteil der Fremdentwicklungen in der Dienst- und Einsatzplanung mit 76% deutlich geringer als bei durch Gesetzesvorgaben stärker regulierten Prozessen wie der Leistungsabrechnung (über 90%).

Welchen Wertbeitrag liefert die IT?

In den ersten beiden Jahren wurden vor allem Basisdaten erhoben, um überhaupt ein erstes Bild der bis dahin nur diffus bekannten Branchendaten zeichnen zu können. Da sich die Ergebnisse der zweiten Erhebung nicht wesentlich von den ein Jahr zuvor ermittelten Werten unterschieden haben, bot es sich im dritten Jahr an, den IT-Report auf ein Sonderthema auszurichten: Im Fokus des IT-Reports 2010 standen der Wertbeitrag der IT und die Markenstärke der Anbieter.

Nach den Ergebnissen der ersten beiden Studien investiert die Sozialwirtschaft jährlich rund eine Milliarde Euro in IT. Doch welche Wertschöpfung wird daraus in dieser Branche mit stark individualisierten personenbezogenen Dienstleistungen und einer hochgradig staatlich regulierten Finanzierungslogik generiert?

Ein Anhaltspunkt dafür, wo Wertschöpfung passiert, sind die Ziele, die mit Hilfe der Technik angestrebt werden und der Grad ihrer Erreichung. Hier zeigte die Untersuchung, dass soziale Organisationen mit Hilfe von IT vor allem die fachliche Qualität steigern und die Effizienz von Arbeitsabläufen verbessern wollen. Doch genau bei diesen Zielen klafft auch die größte Lücke zwischen Wunsch und Wirklichkeit. Deutlich besser werden dagegen weniger wichtige Ziele wie die Verbesserung des Marketings erreicht. Entsprechend schöpfen die Organisationen die Potenziale der IT am stärksten in den administrativen und stark von außen regulierten Prozessen der Leistungsabrechnung, des Finanz- und Personalwesens aus. Die fachlich getriebenen Prozesse der Planung und Dokumentation von Hilfen sowie der Dienst- und Einsatzplanung fallen dagegen deutlich zurück.

Auch an anderen Stellen zeigen sich Steigerungspotenziale: Die kompletten IT-Kosten sind nur etwas mehr als der Hälfte der befragten Leitungskräfte und IT-Verantwortlichen bekannt. Über eine schriftlich fixierte IT-Strategie verfügen nur 43 Prozent der Organisationen, bei Einrichtungen unter 500 Mitarbeitern sinkt dieser Wert auf 18 Prozent. Der einrichtungseigene IT-Bereich wird zumeist als Betreiber technischer Systeme gesehen, deutlich seltener als dienstleistungsorientierter Partner und Berater bei der Optimierung von Geschäftsprozessen. Eine höhere Wertschöpfung durch IT erreichen tendenziell größere Organisationen, die Kostentransparenz in der IT mit einer strategischen Ausrichtung des IT-Bereichs verknüpfen.

Wie steht es um die Markenstärke der Anbieter?

Der Anbietermarkt für fachspezifische Software – so der letzte Report – zeigt sich aus Nutzersicht reichlich diffus. Viele Führungskräfte der Anwenderorganisationen können nur unscharf zwischen Anbieter- und Produktnamen unterscheiden. Die Zufriedenheit mit Funktionalität und Stabilität der Software ist relativ hoch, deutlich schlechter schneiden dagegen Integrationsfähigkeit und Hilfefunktionen ab. Nur 20 Prozent der Befragten würden die gleiche Software auf jeden Fall wieder wählen. Dennoch wird Software-Qualität wird im Durchschnitt besser beurteilt als der Service der Firmen. In beiden Kategorien werden starke Unterschiede zwischen den einzelnen Anbietern deutlich: nur wenige können in allen abgefragten Themenfeldern punkten.

Eindrucksvoll zeigt der IT-Report, dass der „Buschfunk“ in der Sozialbranche funktioniert: Das allgemeine Image der Anbieter und Programme in der Sozialbranche ähnelt verblüffend der Einschätzung derjenigen, die die Software tatsächlich einsetzen.

Im Herbst 2010 startet die vierte Runde

Auch in diesem Jahr wurden wieder über 2.000 Fragebögen an Geschäftsführer und IT-Leiter von sozialen Organisationen geschickt und mehr als 300 Anbieter von Branchensoftware angeschrieben. Die laufende Befragung hat zum Ziel, die Entwicklung der Branche in den vergangenen zwei Jahren seit dem zweiten IT-Report nachzuzeichnen. Hier geht es wieder um IT-Budgets, Ausstattung, Arbeitsfeldspezifika, Investitionsvorhaben, Datenschutzrichtlinien, technische Innovationen und erstmals das Thema Fachkräftemangel. Die Befragung der Anbieter findet schwerpunktmäßig im September statt, die der Organisationen im Oktober. Je mehr sich an dieser Studie beteiligen, umso aussagekräftiger sind die Ergebnisse – und umso mehr trägt der IT-Report dazu bei, dass Anwender und Entwickler Hand in Hand an innovativen, nachhaltigen und effizienten IT-Lösungen für die Sozialwirtschaft arbeiten. Denn die Sozialwirtschaft tickt bekanntlich anders.


Weitere Informationen:

Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Arbeitsstelle für Sozialinformatik

Prof. Helmut Kreidenweis

sozialinformatik@ku-eichstaett.de

www.sozialinformatik.de




[1] Vgl. hierzu die beiden Artikel

Computerwoche online (20.08.2008): IDC prognostiziert Flaute am deutschen IT-Markt. Online verfügbar unter: http://www.computerwoche.de/management/it-strategie/1871410/index.html,; letzter Zugriff am 05.08.2010.

Computerwoche online (26.11.2009): Softwarebranche – Katalysator für Wachstum und neue Jobs?. Online verfügbar unter: http://www.computerwoche.de/management/it-strategie/1871410/index.html; letzter Zugriff am 05.08.2010.

[2] Vgl. Kreidenweis/Halfar (2007): IT-Report für die Sozialwirtschaft 2007/2008.

[3] Vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (21.01.2010): Zukunftsbranche Sozialwirtschaft. Online verfügbar unter: http://www.bmas.de/portal/41634/; letzter Zugriff: 30.09.2010.

Aktuelle Rezension

Buchcover

Nicole Strüber: Unser soziales Gehirn. Klett-Cotta Verlag (Stuttgart) 2024. 352 Seiten. ISBN 978-3-608-96621-3.
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